Der Eröffnungsgottesdienst zum 1250-jährigen Ortsjubiläum am 23. Januar 2022

Es war kein Zufall, dass der Auftakt zu „1250 Jahre Nüdlingen“ am 23. Januar 2022 erfolgte.  Durch die enge Verbindung Nüdlingens mit dem Heiligen Sebastian, dessen Gedenktag am 20. Januar begangen wird, wurde seit langem der politische Neujahrsempfang um Sebastiani herum abgehalten. Ein passendes Datum also, um das Festjahr zu beginnen.  Die aktuelle Corona-Situation verhinderte allerdings einen größeren Empfang für alle Bürger*innen.

Den festlichen Eröffnungsgottesdienst zelebrierten Offizial Domkapitular Stv. Generalvikar Msgr. Dr. Lic.iur.can. Stefan Rambacher und Diakon Christoph Glaser, begleitet von Pastoralassistentin Magdalena Sauter.

Herr Domkapitular Doktor Rambacher absolvierte als Priesterseminarist in 1983 sein erstes Gemeindepraktikum in der Nüdlinger Pfarrei St. Kilian.

In Anschluss an den Gottesdienst eröffnete der erste Bürgermeister Harald Hofmann das Jubiläumsjahr mit einer kurzen Ansprache und die ersten druckfrischen Exemplare des Jubiläumsjournals wurden an die Kirchenbesucher*innen verteilt und die Jubiläums-Webseite freigeschaltet. In den nächsten Tagen erhalten alle Nüdlinger Haushalte ein Jubiläumsjournal samt Veranstaltungsprogramm und eine neue Wanderkarte – rund um Nüdlingen.

Die Fotos stammen von Hans Hengstermann.

 

Festpredigt von Domkapitular Dr. Stefan Rambacher, Würzburg

Liebe Schwestern und Brüder!

Es gibt ein Sprichwort, das sagt: „Das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen!“ Ja, das ist wahr, das wissen wir: die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen; sie schreitet voran.
Jede Zeit stellt uns vor neue Aufgaben und Herausforderungen. Aber sie schenkt uns auch neue Chancen und neue Möglichkeiten.
Manchmal neigen wir vielleicht dazu, die Vergangenheit zu verklären; zu meinen, früher sei vieles besser gewesen. Aber eine solche Haltung kann uns blockieren, die Herausforderungen und Chancen der Gegenwart überhaupt richtig zu sehen und mutig anzugehen.
Mir ist aber noch ein anderes Wort in den Sinn gekommen. Es sagt: „Wer die Vergangenheit nicht kennt, kann die Gegenwart nicht verstehen und die Zukunft nicht gestalten.“
Es ist dies ein bekanntes Zitat unseres früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl aus einer Bundestagsrede 1995.
Nüdlingen darf in diesem Jahr auf eine lange Geschichte zurückschauen und sein 1250 -jähriges Ortsjubiläum feiern. Eine stolze Zahl!
Der Sinn eines solchen Jubiläums liegt vielleicht in der Spannung, die zwischen den beiden zitierten Redensarten liegt: Das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen – wir müssen uns der Gegenwart stellen und dem, wozu sie uns aufruft.
Aber wir dürfen doch auf die Wurzeln schauen, von denen wir herkommen; auf die Geschichte
unserer Vorfahren. Und wir dürfen uns fragen, was wir aus dieser Geschichte mitnehmen und lernen können, um unser Heute und Morgen gut gestalten zu können.


Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde von Nüdlingen,
die 1250-jährige Geschichte dieses Ortes zeigt, wie bewegt, wie vielfältig und spannungsreich diese Vergangenheit war und verlaufen ist.
Herrschaftsverhältnisse wechselten sich in den Jahrhunderten ab, so wie Zeiten von Krieg und von Frieden. Nüdlingen wurde wiederholt heimgesucht von Katastrophen oder Missernten und erlebte
dann wieder Zeiten des Aufbaus und kultureller Blüte. Beeindruckend war der mutige Widerstand von über 100 Frauen gegen die Entfernung der Schulkreuze in der Nazidiktatur.
Von der Lebendigkeit des kirchlichen Lebens und v. a. der kirchlichen Jugendarbeit habe ich selbst als Theologiestudent Anfang der 80er Jahre hier vieles erlebt und als Ermutigung mitgenommen für meinen weiteren beruflichen Weg.
Im Blick auf so eine bewegte Geschichte mag man sich fragen: was hat die Menschen hier geprägt, was hat ihnen Halt gegeben in all den Höhen und Tiefen des Lebens?
Eine Spur führt uns da zum hl. Sebastian. Er erfuhr und erfährt in Nüdlingen eine solche Verehrung, dass man ihm nicht nur eine Kapelle widmete und eine Bruderschaft gründete. Sebastian wurde zum Ortspatron von Nüdlingen.
Was war und ist das Faszinierende an diesem Heiligen? Und was hat er uns auch heute noch zu sagen? Dem will ich ein wenig nachspüren.
Sebastian ist einer der meistverehrten Heiligen schon in der frühen Kirche. Seine Zeit ist das ausgehende 3. Jhd. Die Zahl der Christen war damals im römischen Reich schon gewachsen, aber noch immer eine Minderheit. Sebastian erlebte die letzte große Christenverfolgung der Antike unter Kaiser Diokletian. Nur wenige Jahrzehnte nach seinem Tod errichtet Papst Damasus die erste Kirche über dem Grab des Heiligen an der Via Appia in Rom. So dürfen wir dem Zeugnis über sein Leben
trauen, auch wenn manches später legendär ausgestaltet wurde. Ohne die Erinnerung und Überlieferung von Augenzeugen hätte es sicher keine so frühe Verehrung dieses Heiligen gegeben. Sebastian soll Offizier der kaiserlichen Leibgarde gewesen sein. Und als der heidnische Kaiser sich gegen die Christen stellt und sie verfolgen lässt, trifft es auch Sebastian. Der Überlieferung nach wurde er von Bogenschützen mit Pfeilen erschossen, wie es die christliche Kunst in ungezählten
Bildern und Skulpturen darstellt.


Liebe Schwestern und Brüder, lassen Sie mich am Leben und Glaubenszeugnis des hl. Sebastian zwei Gedanken anknüpfen, die, so meine ich, auch für unser Christsein heute von Bedeutung sind. Christlicher Glaube ist im Wesentlichen und zuallererst Beziehung, lebendige Beziehung.
Wenn Christen wie Sebastian in Zeiten der Bedrängnis und Verfolgung treu zu ihrem Glauben
standen, dann doch nicht für eine bloße Idee. Aus vielen Quellen der frühen Kirche wissen wir:
Christinnen und Christen sind furchtlos und hoffnungsvoll in allen Bedrängnissen geblieben, weil sie von einer tiefen und lebendigen Beziehung zu Christus erfüllt waren. Weil sie wussten, Seine Liebe ist stärker als alle Bedrängnis und trägt uns in jeder Gefahr, sogar über den Tod hinaus.
Wir machen uns heute viele Gedanken über Strukturfragen in der Kirche. Wir diskutieren über Macht und Verantwortung in der Kirche und klagen begangenes Versagen in ihren Reihen an und auch bei
ihren Verantwortlichen. Das alles geschieht zurecht und muss offen angegangen werden und auch Konsequenzen haben. Aber das allein führt uns nicht weiter. Christlicher Glaube wird nur dort eine Zukunft haben, wo Menschen wieder in ihm Halt finden in den Prüfungen ihres Lebens, wo sie ihn vor allem als Beziehung erfahren – als lebendige Beziehung zu Christus, die innerlich erfüllt und stärkt und Hoffnung gibt. Auf diesem Weg Menschen zu begleiten und zu helfen, ist und bleibt eine ganz zentrale Aufgabe für die Kirche.


Liebe Schwestern und Brüder,
nach einer aktuellen Studie der Universität Tübingen haben drei Viertel der befragten jungen
Menschen gesagt, sie würden beten, weil ihnen das Halt und Geborgenheit gibt. Dieses Ergebnis hat mich erstaunt. Sicher waren die Befragten nicht alle Christen. Aber es zeigt doch, dass die Suche nach Spiritualität und die Sehnsucht, in Gottes Liebe Halt zu finden, auch heute nicht verschwunden ist, sondern vielen ein inneres Bedürfnis.
Christsein ist in erster Linie Beziehung: das innere Getragen-Sein von Christus und Seiner Liebe.
Beziehung, die uns stark macht, so manche Prüfung im Leben zu tragen und zu bestehen und trotz allem eine innere Freude und Hoffnung zu behalten – so wie der hl. Sebastian.


Liebe Schwestern und Brüder,
ein zweiter und letzter Gedanke:
zur Zeit des hl. Sebastian, als die Christen eine Minderheit in der heidnisch-römischen Gesellschaft waren, sind sie durch ihre Nächstenliebe, durch ihr sozial-caritatives Engagement in ihrer Umgebung
aufgefallen. Es gab damals kein soziales Netz in der Gesellschaft. Arme oder Arbeitslose, Alte und
Kranke, Witwen oder Waisen waren sich oft selbst überlassen und ihrem Schicksal ausgeliefert. Die Christen kümmerten sich um sie, sorgten für sie und nahmen sich ihrer an. Das war etwas ganz Neues in der heidnischen Gesellschaft. „Seht, wie sie einander lieben“ – sagte man von den Christen –
mit einiger Bewunderung.
Auch vom hl. Sebastian ist überliefert, dass er Gefangene im Gefängnis besucht und ihnen
beigestanden hat; dass er Verurteilten Trost und Zuversicht gespendet hat.
Christsein ist Beziehung: Nicht nur zwischen uns und dem Herrn, sondern davon ausstrahlend auch in der Art, wie wir miteinander umgehen und einander begegnen.
Als Glieder des einen Leibes Christi dürfen wir füreinander da sein und einstehen, jeder und jede mit den Begabungen, Fähigkeiten und Charismen, die er oder sie hat. Daran erinnert uns der Apostel Paulus in der Lesung heute.
Im Evangelium zitiert Jesus am Beginn seines Wirkens den Propheten Jesaja und sieht dessen Verheißung erfüllt: ich bin gesandt, den Armen eine Frohe Botschaft zu bringen, die Gefangenen zu befreien, den Blinden die Augen zu öffnen, die Zerschlagenen aufzurichten und ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen.
Das war Jesu Programm; das war seine Sendung vom Vater.
Und seine Jünger hat Jesus gesandt, ihm auf diesem Weg zu folgen und, wie er, den Menschen heilsam zu begegnen und neue Hoffnung zu schenken.
Das ist der Weg der Kirche, ihre Aufgabe und Sendung, unsere Sendung.
Wir wissen: in der Vergangenheit haben Menschen Kirche oft auch anders erlebt: nicht heilsam und befreiend; sondern immer wieder auch einengend, bevormundend, ja auch missbräuchlich und
schuldbehaftet.
Es ist an der Zeit, dass sich die Kirche diesen schmerzlichen und dunklen Flecken ihrer Geschichte stellt, sie ehrlich aufarbeitet und aus ihnen lernt.
Mehr Beteiligung aller Gläubigen, von Männern und Frauen, an den Entscheidungen und am Leben der Kirche, ist eine zentrale Forderung des Synodalen Weges, auf dem wir uns befinden.
Wenn es dabei aber nur um Umverteilung von Macht und Verantwortung ginge, wäre das zu wenig.
In den Spuren Jesu sind wir gerufen, dass wir heilsame Beziehungen knüpfen; einander so begegnen, dass es ermutigend, aufbauend und hoffnungsstiftend ist.
Dazu braucht es im Netzwerk der Kirche die professionellen Dienste, wie Caritas und Beratungsstellen, Seelsorgerinnen und Seelsorger. Aber es braucht genauso das Engagement vieler Männer und Frauen, Junger und Älterer, die in den Spuren Jesu heilsame Beziehungen zu anderen knüpfen; die sehen, wo sie gebraucht werden, und entsprechend handeln.
Können wir als Christen z. B. zu Versöhnung und Dialog, zu gegenseitigem Verstehen und Respekt beitragen, wo Kontroversen und Konkurrenz die Menschen oft entzweien? Ich hörte dieser Tage von einer evangelischen Gemeinde in Schweinfurt, die am Rande aufgeheizter Demonstrationen ihre Kirche öffnete zum Friedensgebet; und in der Menschen eingeladen wurden, ihre Erfahrungen zu erzählen und einander zuzuhören. Ich glaube, das ist ein guter Schritt, Beziehungen und Brücken zu
bauen in einer belasteten Situation, wo es so viele Gräben des Misstrauens gibt.

Liebe Gemeinde, das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen; aber wir dürfen uns aus der Geschichte doch
inspirieren lassen, um die Herausforderungen unserer Zeit besser zu bestehen. Im Blick auf unseren Glauben erinnert uns der Hl. Sebastian daran: Christsein ist Beziehung. Unser Glaube gewinnt seine Kraft und seine Hoffnung aus der lebendigen Beziehung zu Christus. Und sie befähigt uns, ein Netz heilsamer Beziehungen zu knüpfen zu unseren Mitmenschen, in unserer Gemeinde und in der Gesellschaft. Es ist und bleibt auch unter neuen, veränderten Bedingungen eine lohnende Aufgabe, vom Evangelium her mitwirken zu dürfen an Versöhnung und Hoffnung, an mehr Gemeinschaft und
Geschwisterlichkeit.
Der hl. Sebastian stärke uns dazu durch sein Beispiel und seine Fürsprache. Amen