Eng und laut muss es gewesen sein im Amtszimmer des Bad Kissinger Landrats. Am 26. August 1941 protestierten dort 120 Nüdlinger Frauen lautstark für nichts weniger als ihren Glauben. Was war passiert?
Nachdem die NSDAP schon zuvor das tägliche Schulgebet gegen nationalsozialistische Lieder getauscht hatte, fehlten zum Schulbeginn 1941 auch noch die Kreuze in den Schulen. Das ging den Nüdlinger Katholiken diesmal zu weit. Der christliche Glaube war gerade in den Kriegsjahren ein wichtiger Anker der Hoffnung für viele Bürgerinnen und Bürger.
Gleich am ersten Schultag kamen Kinder aus der Schule nach Hause und berichteten Ihren Eltern, dass in den Unterrichtsräumen der Dorfschule keine Kruzifixe mehr hingen.
Daraufhin entwickelte sich im Ort eine Dynamik ungeahnten Ausmaßes. Zuerst machte am 23. August eine Mutter beim damaligen Bürgermeister Erhard Memmel ihr Unverständnis und ihren Unmut deutlich, kurz darauf forderten zwei Männer die sofortige Rückgabe der Kreuze. Die Aufregung steigerte sich stündlich. Immer lauter wurden die Rufe, die Kreuze herauszugeben und wieder aufzuhängen. Zwei Tage später erschienen am Montagmorgen 40 Mütter zum Unterrichtsbeginn und forderten eine Stellungnahme der Leh-rer. Diese waren selbst von der Tatsache überrascht und wussten nichts von der Konfiszierung der Kreuze.
Auf mehrmaliges Drängen der Eltern, gestand Bürgermeister Memmel, dass er lediglich eine Anweisung des Bad Kissinger Landrats ausgeführt hatte. Die Empörung im Ort war enorm. Darauf-
hin machten sich zuerst zwei Männer auf den Weg ins Bad Kissinger Landratsamt und schilderten die erhitzte Stimmung in Nüdlingen. Der Landrat bat um einige Tage Geduld und wollte die Männer damit vertrösten, dass er das Anliegen an die Regierung weitergeleitet habe. Vielleicht könne ja der NSDAP-Kreisleiter Willy Heimbach bei dem Konflikt behilflich sein. Das ließen sich die Nüdlinger Männer nicht zweimal sagen. Lange und vehement sollen sie ihr Anliegen dort geschildert haben. Als dieser den Protestierenden nur mit Hohn begegnete, eskalierte der Auf-stand.
Am 26. August 1941 machten sich 120 Nüdlinger Frauen auf den Weg nach Bad Kissingen und forderten den Landrat zu einem Gespräch.
Drei Frauen durften in seine Amtsstube, der Rest sollte in den Gängen des Landratsamtes warten. Immer wieder versuchte der Landrat, die wütenden und aufgebrachten Frauen zu beruhigen und zu beschwichtigen. Ohne Erfolg.
Der Landrat bat immer wieder darum, die Entscheidung seitens der Regierung abzuwarten und einfach nach Hause zu gehen. Doch Geduld wollten die anwesenden Frauen bei diesem Thema nicht zeigen. Sie forderten eine unverzügliche Entscheidung und die sofortige Herausgabe der Kreuze. Je lauter und deutlicher die Drohungen der Mütter wurden, desto unsicherer wurde der Landrat. Die demonstrierenten Frauen machten daraufhin kurzen Prozess und nahmen – wie so oft in der Geschichte – das Heft selbst in die Hand. Sie verließen das Landratsamt, kauften in Bad Kissingen eigenständig vier Kreuze und ließen diese spontan im Herz-Jesu-Kloster weihen.
Um die Mittagszeit kamen sie wieder nach Nüdlingen, wo viele andere gespannt auf die mutigen Heimkehrerinnen warteten. Auf direktem Weg machten sich die Frauen in die Schule, um die neugekauften Kreuze als Symbol ihres Glaubens in den Schulräumen eigenhändig anzubringen. Sie hatten es geschafft und ihren Glauben und ihren Willen durchgesetzt.
Drei Tage nach dem Aufstand im Amtszimmer traf dann die Entscheidung der Regierung ein, die alten Schulkreuze wieder anzubringen und die vier „Protest-Kreuze“ wieder an die Spenderinnen zurückzugeben.
Um an den siegreichen und mutigen Kreuzzug der Nüdlinger Frauen zu erinnern, entschied man sich aber, die vier Kreuze als Erinnerung und Mahnung in die Nüdlinger Pfarrkirche zu hängen. Dort befinden sie sich heute noch und sind Zeugnis für ein gelebtes Glaubensbekenntnis.
Diese Anekdote über religiöse Überzeugung und festen Glaube ist bezeich-nend für die Gemeinde Nüdlingen. Denn nur durch das generationsübergreifende Engagement, den gemeinsamen Mut für die christlichen Überzeugung und das vereinte Gottvertrauen, schafften es diese Nüdlinger Frauen, in Zeiten einer männergeführten Nazi-Regierung für ihren Gott und ihre Kinder zu kämpfen.