Was wurde aus der Gemeindegebietsreform vor 50 Jahren?

Eingliederung  der Gemeinde Haard in die Gemeinde Nüdlingen 1972

(Text von Ewald Kiesel)

Im Jahre 1971/72 wurde in Bayern die Gemeindegebietsreform durchgeführt, die zu Einschneidenden Veränderungen führte.

Aus den bisherigen Landkreisen Bad Brückenau und Hammelburg ist der Großlandkreis Bad Kissigen entstanden. Viele kleinere Gemeinden wurden aufgelöst und bildeten größere Zusammenschlüsse oder  Verwaltungsgemeinschaften. Nicht überall ging diese Reform unumstritten über die „Bühne“ und sorgte zum Teil für Unmut der mit großzügigen Fördermitteln des Staates befriedet wurde. So auch die bis dahin selbständige Gemeinde Haard. Am 8. April 1971 trafen sich die Gemeinderäte von Nüdlingen und Haard auf Vorschlag des Landratsamtes, um über den Zusammenschluss von  Haard und  Nüdlingen zu beraten. Die beiden Gemeindegremien beschlossen einstimmig – nach ausgiebiger Diskussion – die Zusammenlegung der beiden Gemeinden zur Gemeinde Nüdlingen. An der geheimen Abstimmung der Haarder Bürger, am 10. Oktober 1971 nahmen  von 709 Einwohnern 300 Wahlberechtigte Bürger teil. Davon stimmten 269 für den Zusammenschluss mit Nüdlingen und 31 dagegen. Aufgrund dieses Abstimmungsergebnisses wurde am 5. November 1971 zwischen der Gemeinde Nüdlingen und der Gemeinde Haard ein Eingliederungsvertrag unterzeichnet, der einhellige Zustimmung der beiden Gemeindegremien fand. Damit wurde am 1. Januar 1972 die Gemeinde Haard als Gemeindeteil in die Gemeinde Nüdlingen rechtswirksam eingegliedert. Die Selbständigkeit der damals seit 750 Jahre bestehenden Gemeinde Haard wurde somit zu Gunsten der Nachbargemeinde Nüdlingen aufgegeben. Zwar wurden auch andere Möglichkeiten geprüft doch die geografische Nähe, der gemeinsame Schulverband seit 1969 und die gemeinsame Zugehörigkeit zur Pfarrei Nüdlingen seit 1590 kam man nun auch politisch zusammen.

Zu den wichtigsten Vertragsbedingungen gehörten: Die Sonderfördermittel des Staates in Gesamthöhe von 422 938,- DM, sollen für den Ausbau der Ortsstraßen im Gemeindeteil Haard verwendet werden.

Ein entsprechender Lageplan mit den gekennzeichneten  Altortsstraßen wurde erstellt. Die Gemeinde Nüdlingen verpflichtete sich mit den Ausbau der  Haarder Ortsstraßen unverzüglich zu beginnen. Eine gedeihliche Weiterentwicklung des Ortsteils Haard wurde nach besten Kräften versprochen. Der Name des Ortes „Haard“ soll erhalten, die Grundsteuersätze von A und B bestehen bleiben und die Satzungen angeglichen werden. Der Gemeindeteil Haard soll bis zur Kommunalwahl am 30. Juni 1972 von 1. Bürgermeister Emil Röder, 2. Bürgermeister Anton Müller und Gemeinderat Alfred Hehn im Nüdlinger Gemeinderat beratend vertreten sein. Weiter wurde vertraglich festgelegt: Sollte in Folge schulischer Veränderungen das neue Schulhaus frei werden, so sollen die Schulräume für Zwecke vorschulischer Erziehung (Kindergarten) verwendet werden. Die Turnhalle ist für die Leibesertüchtigung der Bürger und für kulturelle Veranstaltungen der Vereine des Ortsteils Haard zur Verfügung zu stellen. Die Jagdreviere sollen wie bisher Bestand haben.

Zur Übergabefeier am 18. Januar 1972 war am Sonntag Nachmittag im Saal der Gastwirtschaft Alberth kein Platz mehr zu bekommen, so zahlreich kamen die Bürger zur Eingliederungsfeier, erinnert sich Ewald Kiesel.

Der Haarder Bürgermeister Emil Röder dankte seinen Gemeinderäten, Gemeindebediensteten, Vereinen und Bürgern für gute Zusammenarbeit und wünschte eine gute Zukunft. Im Mittelpunkt stand die Verabschiedung und Ehrung des bisherigen Bürgermeisters Emil Röder (*1907 + 1997) der die Geschicke  der Gemeine Haard seit 1952 leitete. In einem umfassenden geschichtlichen Rückblick auf die letzten zwei Jahrzehnte stellte Gemeinderat Alfred Hehn die unter Führung von Bürgermeister Emil Röder erzielten  Erfolge  heraus. Er erinnerte an den Bau der zentralen Wasserversorgungsanlage mit Brunnen und Hochbehälter, die 1956 in Betrieb genommen wurde. Die Kanalisation mit Kläranlage, die Löschwasser-Zisterne, die Ausstattung der Feuerwehr, die Aufforstung des Gemeindewaldes, die Erneuerung des elektrischen Ortsnetzes mit Trafostation, den Ausbau der Ortsverbindungsstraße zwischen Nüdlingen-Haard, den Neubau der Schule mit Lehrerwohnhaus, die Hochwasserfreilegung durch den Ort und den Leichenhausbau. Bei seinem Amtsantritt vor 20 Jahren sei die Einwohnerzahl von 568 auf 709 Einwohnern angewachsen. Röder  habe stets ein reges Vereinsleben gefördert. All diese Leistung sei durch den unermüdlichen Einsatz des Bürgermeisters in  235 Gemeinderatssitzungen mit Gemeinderat und Bürgern erarbeitet worden. Mit dem 1. Januar 1972 habe Haard nun, nach 750 Jahren seine Selbständigkeit aufgegeben, „nicht leichten Herzens“, wie Emil Röder betonte. Man habe aber die Zeichen der Zeit erkannt. Nun bat er alle seine Bürger von Haard,  am Aufbau der neuen Großgemeinde Nüdlingen mitzuarbeiten. Einstimmig beschloss der Gemeinderat, Emil Röder für seine Verdienste um die Gemeinde Haard zum Ehrenbürger zu ernennen. 2. Bürgermeister Anton Müller überreichte die gerahmte Ehrenbürger-Urkunde. Nüdlingens Bürgermeister Franz Nicolai wies auf die historische Bedeutung dieses Zusammenschluss der beiden Gemeindeteile hin und bat ebenfalls für alle Zukunft um gute Zusammenarbeit zum Wohle der Bürger beider Ortsteile. Die Gemeindegebietsreform solle die vorhandene Leistungskraft zusammenfassen und die Gemeinden stärken. Landrat Magnus Herrmann stellte fest, dass die Gemeinde Nüdlingen einen neuen Gemeindeteil erhalte der eine gute „Mitgift“ mitbringe. Stets wolle das Landratsamt die Bemühungen der Gemeinde unterstützen. Gesang- und Musikverein, sowie die Schuljugend umrahmten die historische  Feierstunde.

Am 11. Juni 1972 fand die Kommunalwahl statt, am 1.Juli 1972 die Vereidigung des Gemeinderates. Aus Haard wurden Martin Ritter und Ewald Kiesel in den neuen Nüdlinger Gemeinderat gewählt.

Die Dorfstraßen wurden zügig ausgebaut und im Rahmen der Baumaßnahme bepflanzte Böschungen und Grünanlagen angelegt. Da die Straßen nun staubfrei waren erneuerten die  Einwohner ihre Gartenzäune, brachten ihre Vorgärten auf Vordermann und renovierten ihre Häuser.

Bei der Teilnahme am Ortswettbewerb 1974 „Unser Dorf soll schöner werden – Unser Dorf hat Zukunft“ wurde dem Ortsteil Haard, zur Freude der Einwohner der 1, Preis zuerkannt. Die feierfreudigen Haarder Vereine, die auch nach der Eingemeindung ihr Eigenleben behielten, gründeten einen Vereinsring, legten einen neuen Festplatz in  der Dorfwiese an und trugen mit ihren Veranstaltungen wesentlich zum Zusammenwachsen der Bürgerinnen und Bürger beider Gemeindeteile bei.

Ewald Kiesel, März 2022

(alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Ewald Kiesel)