„Im Frieden begraben die Söhne ihre Väter, im Krieg aber die Väter ihre Söhne.“ Diese tragische Erkenntnis stamm vom griechischen Historiker Herodot (ca. 490 -430 vor Chr.) Sie hat knapp zweieinhalb Jahrtausende später ihre Gültigkeit nicht verloren und es steht zu befürchten, dass sie in zweieinhalbtausend Jahren immer noch aktuell sein wird.
Anfang Juli 1866 herrschte in Nüdlingen helle Aufregung. Die Preußen kommen, hieß es. Und sie kamen…
Es gab mal wieder Streit zwischen Österreich und Preußen. Österreich wollte den Deutschen Bund erhalten, Preußen einen Bundestaat unter seiner eigenen Herrschaft errichten. König Ludwig II. von Bayern, ein eher pazifistischer König, wollte sich eigentlich aus dem Konflikt heraushalten und sein Land vom Krieg verschonen. Doch Österreich bestand auf die Bündnispflicht.
Ein kurzer Abriss der Ereignisse:
… 9. Juli 1866
Im Dorf war war ein Bataillon des königl. Bayerischen Infanterieregiments einquartiert, in Bad Kissingen die Division des Generalleutnants von Zoller. Am Abend hörten die Nüdlinger Geschützdonner. Die Preußen griffen die bayerischen Vorposten in Waldfenster an. Die Nachricht, das die Preußen in Bischofsheim eingerückt seien und bayerische Burschen zum preußischen Militärdienst zwangen , verbreitete großen Schrecken. Viele Nüdlinger Burschen wollten in die Wälder fliehen, zogen zum Pfarrhaus um sich segnen zu lassen. Doch Pfarrer Erhard beruhigte sie und schickte sie wieder nach Hause.
… 10. Juli 1866
Das in Nüdlingen einquartiere bayerische Bataillon marschierte über Euerdorf Richtung Hammelburg. Bald erreicht Nüdlingen eine neue Schreckensnachricht. Die Preußen seien schon bis Hausen vorgedrungen. Aus Münnerstadt marschierten weitere bayerische Truppen durchs Dorf gen Kissingen. Die Preußen erreichten die Saale. Der Kampf begann und die Bayern schlugen sich ganz ordentlich. Am Mittag passierte der Oberbefehlshaber Prinz Karl von Bayern das Dorf. Viele Nüdlinger Zivilisten rafften ihre Habseligkeiten und brachten sich in den Wäldern in Sicherheit. Am Sinnberg wurde der bayerische Generalleutnant von Zoller schwer verwundet. Man brachte ihn zum Nüdlinger Pfarrhaus, wo er noch auf der Schwelle verstarb. Nach von Zollers Tod konnten die Bayern ihre Stellungen nicht mehr halten und zogen sich durch Nüdlingen zurück. Wer noch im Dorf war, reichte den abgekämpften Soldaten Erfrischungen und Essen.
Die Preußen drangen über Winkels nach Nüdlingen vor. Die Bayern zogen sich aus dem Dorf zurück. Doch von Münnerstadt her nahte bereits die bayerische Division Stephan. Eine heftige Schießerei begann. Die Preußen wurden auf den Wasser- und den Sinnberg zurückgetrieben. Bayerische Kanonen standen auf dem Wurmerich und auf der Haarder Höhe. Die Bayern preschten vor und zogen sich am Abend wieder nach Nüdlingen zurück. Am härtesten wurde wohl im Ümpfing, an der Bünd, und in der Nähe des Friedhofs gekämpft.
In der Nacht sei es dann gespenstisch still gewesen, berichten Zeitgenossen. Die Bayern übernachteten oberhalb des Dorfes, die Preußen am Sinnberg. Auf den Bergen brannten die Biwakfeuer der Soldaten. Die Nüdlinger befürchteten die Zerstörung und Plünderung ihres Dorfes. Das hatten die Preußen angedroht.
…11 Juli 1866
Schon früh um drei Uhr verließen die letzten Nüdlinger das Dorf. Wie würden sie es bei ihrer Rückkehr vorfinden? Herzzerreißende Szenen sollen sich abgespielt haben. Wägen und Karren mit der Habe, weinenden Kindern und Frauen zogen aus dem Dorf. Das Vieh wurde von den Männern hinterher getrieben. Dann war das Dorf ausgestorben, berichtet Pfarrer Erhard. Er stieg auf den Dachboden des Pfarrhauses (siehe Foto) und sah die Preußischen Truppen heranmarschieren. Die Entscheidung nahte.
Doch dann zogen die Bayern plötzlich ab – über Münnerstadt nach Stadtlauringen.
Gegen fünf Uhr früh kamen die ersten Preußischen Soldaten ins Dorf und durchsuchten alle Winkel nach bayerischen Soldaten. Sie fanden keine. Die letzten Nüdlinger, meist Alte, die mit dem Pfarrer im Dorf gebelieben waren, mussten alle Vorräte herausrücken. Es heißt, an Ausschreitungen hätte es nicht gefehlt, was auch immer damit gemeint ist. Gegen Abend kehrten die geflohenen Nüdlinger wieder in ihr Dorf zurück.
…12. Juli 1866
Als die Preußen in Richtung Hammelburg aufgebrochen waren, machte Pfarrer Erhard einen Gang durchs Dorf. Es war bis auf ein paar beschädigte Häuser verschont geblieben. Doch der Schaden auf den Feldern war immens. An der Landstraße nach Münnerstadt war die komplette Ernte zerstört. Insgesamt bot das Schlachtfeld zwischen Nüdlingen und Kissingen einen grausigen Anblick; Tote Soldaten, tote Pferde. Blutlachen. Zerschossene Gegenstände, Uniformteile und tausende Patronenhülsen zeugten vom tödlichen Kampf. Verwundete brachte man in Gasthaus Stern und in die Schule. Eine genaue Zahl der Toten im Gefecht um Bad Kissingen beziffert die Saalezeitung von 1966 wie folgt:
Auf Bayerischer Seite:
Tot: 9 Offiziere; 92 Mannschaften, 33 Pferde. Verwundet: 37 Offiziere, 554 Mannschaften, 66 Pferde. Vermisst: 6 Offiziere, 559 Mannschaften, 8 Pferde. Gesamtverlust: 52 Offiziere, 1205 Mannschaften, 107 Pferde.
Auf Preußischer Seite:
Tot: 10 Offiziere, 133 Mannschaften, 22 Pferde. Verwundet: 25 Offiziere, 671 Mannschaften, 3 Pferde. Vermisst: 1 Offizier, 57 Mannschaften, 1 Pferd. Gesamtverlust: 36 Offiziere, 861 Mannschaften, 26 Pferde.
Preußische Truppen begruben einen Tag lang ihre gefallenen Kameraden. Auf Nüdlinger Gebiet wurden alleine 23 Bayern und 20 Preußen gefunden. Die Bayern begrub man bei der Sebastiani-Kapelle. Die Preußen beerdigte man am Fundort. Weil Nüdlingen mit einem großen Schrecken unbeschadet davongekommen war, ließ Pfarrer Erhard eine Madonna an der Schule aufstellen. Noch heute steht dort eine. Das Original ist inzwischen verwittert. Die Gemeinde ließ 1949 vom Steinmetz Ludwig Koch eine neue anfertigen. Ein Gedenkstein an der Sebastiani-Kapelle erinnert ebenfalls heute noch an den Nüdlinger Schreckenssommer 1866 und die dort beigesetzten Soldaten. (siehe Fotos)
Text: Zusammenfassung aus der Chronik von 1972; zusammengestellt von H. Ziegler, Gemeindebücherei. Fotos H. Ziegler)